Vor ein paar Wochen war ich zu einer wirklich spannenden Tagung eingeladen. Die DGSF-Regionalgruppe Münster und das ISTB Münster haben einen Fachtag zum Thema „KI für ‚Psychothemen‘ – Chance oder Bedrohung?“ veranstaltet, bei dem ich einen Einführungsvortrag halten durfte, der einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen gegeben hat und diese kritisch einzuordnen versuchte.
Zum Abschluss hat mein geschätzter Trainer- und e-beratungsjournal-Kollege Stefan Kühne in seinem Vortrag über Dialoge und Interaktionen mit generativer Text-KI gesprochen. Dabei rüttelte die Zuhörenden eine Aussage besonders auf, nämlich die mögliche narzisstische Kränkung, die der Menschheit durch KI nun droht. Die Debatte, ob die von Freud beschriebenen drei narzisstischen Kränkungen nun durch eine vierte, nämlich durch die Fähigkeiten der KI, erweitert wird ist nicht so neu. Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfeld beispielsweise halten sie eher für eine Illusion, wie sie in ihrem Buch „Digitaler Humanismus“ beschreiben.
Dennoch: Die These rüttelt auf, und ist vermutlich doch für viele anschlussfähig, da die Frage „Wozu braucht es den Menschen“ zumindest ziemlich emotional diskutiert wird, seitdem KI weiter auf dem Vormarsch ist. Gerade im Kreise von Berater:innen und Therapeut:innen, wird mit dem Aufkommen von ChatGPT einmal mehr darüber diskutiert, ob man in Kürze überflüssig werde. Ähnliche Diskussionen wurden schon vor 25 Jahren geführt, als die textbasierte Onlineberatung die Szene bewegte. Auch damals stellten einige mehr oder weniger aufgebracht die Frage, ob sie denn nun bald von einem Computer ersetzt würden.
Heute würde dies wahrscheinlich niemand mehr ernsthaft befürchten. Im Gegenteil: Beratende haben verstanden, dass die Nutzung digitaler Kommunikationsmedien den Zugang zu ratsuchenden Menschen erleichtert und erweitert. Und es ist auch klar, dass eine Onlineberatung nicht nur in Zeiten einer Pandemie ein wichtiges Angebot darstellt.
Unabhängig von möglichen narzisstischen Kränkungen ist jedoch eine andere Frage gerechtfertigt: Welchen Wert hat die eigene Schreib- und Denkleistung im Zeitalter von generativer KI (noch). Und so geht es aktuell auch weniger um die Frage, ob man als Berater:in bald überflüssig wird, sondern vielmehr um die Antwort, was den menschlichen Beratenden ausmacht.
Ethan Mollick, dessen Blog ich sehr empfehlen kann, wenn man sich über aktuelle Entwicklungen informieren möchte, schrieb dazu neulich folgendes:
Er stellt diese Frage im Zusammenhang mit der Bedeutung von Textprodukten in unterschiedlichen Kontexten in Organisationen und beschreibt dabei, dass wir beispielsweise langen und ausführlichen Berichten zuschreiben, dass sich der:die Ersteller:in besonders viel Mühe gegeben habe. Was also, wenn künftig alles die KI übernimmt? Welche menschliche Leistung erhält dann noch Anerkennung?
Nun ist allen, die mit ChatGPT und Co. arbeiten inzwischen klar, dass die KI es eben nicht „alleine“ kann. Die Fähigkeit mit guten prompts zu noch besseren Ergebnissen zu kommen, diese entsprechend bewerten und einordnen zu können und in bestehende Prozesse sinnvoll einzuordnen liegt (noch) beim Menschen.
Gleichwohl: Mollicks Frage lässt sich auch für die schriftbasierte Onlineberatung stellen. Und da ist sie wieder: die narzisstische Kränkung! Was macht es mit Beratenden, wenn KI-Chatbots in Zukunft so gute Beratungstexte produzieren, dass Ratsuchende mit diesen vollkommen zufrieden sind und sich gut unterstützt fühlen? Und was bedeutet es gar, wenn manche Texte, die eine KI produziert hat von Ratsuchenden sogar als empathischer bewertet werden, wie eine Studie von Sharma et al. aus dem Jahr 2022 zeigte?
Eine professionelle Haltung zur Nutzung von KI in der Beratung zu entwickeln, wird zu einer aktuellen eine Kernaufgabe für Beratende, Supervisor:innen und Ausbilder:innen. Hierbei geht es nicht nur um die Nutzung von KI Chatbots durch die Ratsuchenden selbst, sondern auch um die Frage, wie Beratende mit der KI zusammenarbeiten. Hierbei sind unterschiedliche Szenarien denkbar, die teilweise in der Praxis schon genutzt werden:
- Ressourcenmaterialien erstellen: Schnelle Generierung von individuell angepassten Informationsmaterialien und Arbeitsblättern für Ratsuchende zu Themen wie Stressbewältigung oder Achtsamkeitsübungen.
- Rollenspiele entwickeln: Erstellung realistischer Dialoge und Szenarien für Rollenspiele zum Einüben von gezielten Kommunikations- und Konfliktlösungsstrategien der Ratsuchenden.
- Sprachanalyse: Analyse der Kommunikation von Ratsuchenden zur Identifizierung tiefer liegender Probleme oder wiederkehrender Themen (Stichwort Mustererkennung)
- Interaktive Übungen: Erstellung von interaktiven Therapieübungen für Ratsuchende, basierend auf therapeutischen Ansätzen wie der kognitiven Verhaltenstherapie oder lösungsfokussierten Therapie.
- Fallmanagement: Effizientes Verfassen von Notizen, Fallberichten und Behandlungsplänen, um administrative Aufgaben zu erleichtern.
- Therapeutisches Schreiben: Generierung von individuellen Schreibaufgaben für Ratsuchende, die die persönliche Reflexion fördern.
- Unterstützung für Beratende: Unterstützung beim Verfassen von professionellen Texten, z.B. bei der Formulierung empathischer Antworten in der Onlineberatung, um die Qualität der schriftlichen Kommunikation zu verbessern.
Wenn KI als unterstützendes Instrument genutzt wird, ergeben sich viele neue Möglichkeiten und Potentiale – auch für die Beratung. Ohne eine reflektierte Haltung und Kenntnisse über die Nutzungsmöglichkeiten und -grenzen, wird es jedoch nicht gehen. Nicht zuletzt deshalb müssen sich Beratende (und die Institutionen, die diese ausbilden) intensiv mit dem Thema Künstliche Intelligenz auseinandersetzen!