Das Thema „Blended Counseling“ ist ja an sich nicht so neu. Erste Veröffentlichungen zu dem Thema erschienen bereits 2012 (Engelhardt & Weiß) und 2013 (Weiß) und seither wurde auch in der Praxis der Beratungsstellen immer häufiger über Blended Counseling diskutiert.
Und ab und an passiert es auch in Weiterbildungen zur Onlineberatung, dass dem einen oder der anderen dämmert „Ach, das was ich schon eine Weile mache, hat ja einen Namen!“ – Ja und Nein. Zunächst einmal macht es Sinn den Begriff „Blended Counseling“ noch einmal zu definieren und damit von dem abzugrenzen, was „viele ja schon machen“.
„Blended Counseling umfasst die systematische, konzeptionell fundierte, passgenauer Kombination verschiedener digitaler und analoger Kommunikationskanäle in der Beratung“ (Hörmann et. al. 2019)
Und damit grenzt sich Blended Counseling schon einmal ganz klar von dem ab, was viele schon glaube zu tun: Wenn man ab und zu mal zwischen den Beratungsterminen in der Beratungsstelle mit der Klientin eine Mail schreibt, dann ist das kein Blended Counseling. Es ist „ab und zu mal eine Mail schreiben“.
Blended Counseling wäre es, wenn dem Ganzen ein Prozess voraus gegangen wäre, der zunächst konzeptionelle Gedanken zur Nutzung verschiedener digitaler medialer Kanäle behandelt hat. Blended Counseling ist also nicht beliebig und schon gar nicht nur von der Klient*innenseite getrieben („Mein Klient schreibt mir ab und zu im Messenger und dann antworte ich ihm halt.“) – nein, es geht darum die Nutzung von digitalen Kommunikationskanälen im Rahmen des Beratungsprozesses zu planen und systematisch einzusetzen.
Warum aber überhaupt Blended Counseling? Wozu jetzt auch noch digitale Medien einsetzen, wenn der Beratungskontakt doch gut läuft? Nun: Um einen (digitalen) Mehrwert zu erzeugen. Es geht eben nicht darum „jetzt auch noch online“ zu beraten, sondern vielmehr darum verschiedene Online-Settings methodisch zu nutzen. Und so geht es bei der Aufforderung an die Klientin, eine Mail zu schreiben nicht (nur) darum, dass Setting zu wechseln, um einen Anfahrtsweg zum Termin zu sparen, sondern vielmehr, um das Schreiben und den schriftlichen Kontakt als Ressource im Beratungsprozess zu nutzen.
Genauso kann ein kurzer Kontakt zwischendurch per (sicherem) Messenger, eine stabilisierende Wirkung haben und ohne besonders großen Aufwand dazu beitragen, dass der Klient „im Prozess bleibt“.
Wenn Blended Counseling Konzepte in einer Einrichtung implementiert werden, gibt es – wie immer bei Neuem – erstmal Widerstände. Es macht aber nur dann Sinn ein solches Konzept umzusetzen, wenn alle mitziehen. Und es erfordert ein neues Mindset: Beratung nicht als Gespräch zu betrachten, sondern als einen Akt der Kommunikation. Und Kommunikationsprozesse können bekanntlich ja ganz unterschiedlich realisiert werden. Berater*innen müssen in Zukunft also lernen zu kommunizieren und nicht (nur) Gespräche zu führen!
Und in diesen Prozess müssen nicht nur die Berater*innen eine tragende Rolle übernehmen. Logisch: Sie sind es, die am Ende die Arbeit machen. Aber gutes Blended Counseling geht nur, wenn folgende Bedingungen erfüllt werden:
Konzeptionelle Fundierung: Nicht einfach loslegen und eine Mailberatung einführen, wenn die Klient*innen gar nicht diesen Bedarf haben. Es braucht zunächst ein Konzept warum überhaupt auch digitale Kanäle angeboten werden sollen. Das Argument „weil wir im Jahr 2021 sind und das alle machen“ ist nur bedingt gültig – und nebenbei bemerkt, nicht besonders fachlich. Was ist also unsere Konzeption? Welchen Klient*innen, mit welchen Problemlagen bieten wir überhaupt Blended Counseling an?
Digitalanamnese: Die Voraussetzung um ein passgenaues Angebot zu schaffen. Es bringt wenig, wenn im ländlichen Raum Videoberatung angeboten wird (ja, würde eigentlich Sinn machen), wenn die Infrastruktur der Ratsuchenden so schlecht ist, dass eine Beratung per Video kaum technisch funktioniert.
Welche Bedingungen und Ressourcen haben die Bedarfsgruppen eigentlich? Gibt es sprachliche Barrieren? Wie sieht es mit der Ausstattung und den Kompetenzen der Klient*innen aus?
Gemeinsames Commitment: Blended Counseling ist keine one-(wo)man-show. Wenn nicht alle mitmachen, kann man es gleich lassen. Ein solches Konzept einzuführen, bedeutet auch einen grundlegenden Kulturwandel in Gang zu setzen. Online und Offline führen kein Konkurrenzgeschäft miteinander. Es gibt nicht „bessere Präsenzberatung“ und „schlechtere Notfall-Onlineangebote“ – außer man macht es so!
Ausstattung (Hard-& Software): Wenn digitale Kommunikationskanäle ausgewählt wurden, braucht es die entsprechende Ausstattung. Es ist erstaunlich (wenn auch finanziell begründet), dass Mitarbeiter*innen einer Beratungsstelle heute noch nicht flächendeckend ein dienstliches Smartphone besitzen. Hierbei geht es auch weniger um dauerhafte Erreichbarkeit wie manche befürchten, sondern z. B. ganz pragmatisch um die Möglichkeit flexibler beraten zu können und einen (sicheren) Messenger nicht auf dem Privathandy zu nutzen (Datenschutz!)
Und wer Videoberatung anbietet, braucht eine gute Webcam, ein gutes Headset/Mikro und eine saugute Internetverbindung!
Qualifizierung aller Mitarbeiter*innen: Eine runde Sache wird erst draus, wenn alle wissen, was sie tun. Beraten – ob online, offline oder blended – muss gelernt und regelmäßig reflektiert werden. Ohne gute Qualifizierungsmöglichkeiten für alle Mitarbeitenden, wird ein Blended Counseling Konzept nicht umgesetzt werden können. Und hierbei geht es nicht nur um die Beratungsfachkräfte! Auch die Verwaltungskräfte, die häufig den Erstkontakt mit den Ratsuchenden (per Telefon, Mail oder persönlich) haben, müssen mit Kompetenzen ausgestattet werden, die es Ihnen erlauben auf die verschiedenen Beratungsmöglichkeiten hinzuweisen.
Noch Fragen? Ich unterstützte Sie gerne -> www.der–dreh.net
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