Ja na klar – bei der Überschrift denken sich manche jetzt „Hä, lebt die hinterm Mond? Wir sind doch schon mittendrin!“. Das stimmt natürlich, wenn es auf die Pandemieentwicklung bezogen wird. Meine Frage zielt aber in Richtung der Notwendigkeit (wieder) Onlineberatung anbieten zu müssen/können/dürfen.
Aber zunächst ein kurzer Rückblick auf die letzten acht Monate. Schon relativ zu Beginn der Pandemie in Deutschland und Europa haben viele Beratungsstellen (notgedrungen) auf Onlineberatung umgestellt. Einige waren ohnehin schon online und haben einfach mehr von dem gemacht, was es bereits gab. Es konnte daher auch auf vorhandene Strukturen relativ unproblematisch aufgesetzt werden: Die PCs waren da, die Fachkräfte geschult, die Software für sichere Kommunikation vorhanden und vor allem war das Angebot bereits vielen Klient*innen bekannt.
Andere mussten ins kalte Wasser springen und haben diesen Sprung mal mehr mal weniger elegant vollzogen: Träger, die die entsprechenden (finanziellen) Ressourcen zur Verfügung hatten, haben Schulungen organisiert und noch schnell eine Software eingekauft. Denn auch das ist momentan, so hört man, ein Problem. Zumindest bei einem Onlineberatungs-Softwareanbieter, der sicherlich zu den führenden in Deutschland gehört, scheint das Telefon und damit der Kundenservice seit einigen Monaten kaum besetzt zu sein. Die Nachfrage nach adäquaten Lösungen zur Umsetzung eines Onlineberatungsangebots scheint also auch exponentiell gewachsen zu sein…
Bei anderen, die vielleicht auch nicht die Mittel und Möglichkeiten hatten, wurde dann teils sehr kreativ nach Lösungen gesucht und autodidaktisch ins Onlineberatungsgeschäft eingestiegen. Und leider gibt es auch (ob großer oder kleiner Träger) Beispiele, die leider etwas grausig sind. Das Thema Datenschutz ist immer „das Problem“. Und dies kann man oftmals gar nicht nur allein denen zum Vorwurf machen, die eben versuchen schnell und unkompliziert für ihre Klientel ein Angebot aus dem Boden zu stampfen. Wie bei den Schulen wurde das Thema „Digitalisierung“ auch in der Sozialen Arbeit in den letzten Jahren größtenteils verpennt.
Dann kam der Sommer und endlich durfte man wieder „richtig“ beraten – ja, so habe ich das durchaus häufiger gehört. Richtige Beratung geht also, wenn zwei (oder mehr) in einer Beratungsstelle zusammen in einem Raum sitzen und miteinander sprechen. Hm, irgendwie komisch – haben also davor alle „falsch“ beraten? Oder eben „nicht so richtig gut“ oder…
Ja oder! Oder haben sich einige Beratende dabei einfach nicht so wohl, so sicher und versiert wie sonst gefühlt? Ich tippe auf letzteres, denn natürlich weiß jede*r der*die Onlineberatung richtig gelernt hat, dass man auch schriftlich oder gar per Video „richtig“ beraten kann. Man muss es eben können. Gleiches gilt ja auch für die, die nicht gelernt haben ein mündliches Beratungsgespräch in der Präsenz zu führen – auch die fühlen sich dabei ja nicht richtig wohl.
Und dennoch: Es war eine Bärenaufgabe, die viele Beratende in den letzten Monaten zu bewältigen hatten. Mit wenig Mitteln, kaum technischer Ausstattung und manchmal ganz ohne Schulungsmaßnahme in das Onlineberatungsgeschäft, noch hinzu in einer so unsicheren Zeit, zu starten, das war und ist wirklich eine Leistung! Und die gilt es auch zu würdigen.
Jetzt kommt der Herbst und Winter und wir werden wieder über Monate mit unterschiedlichen Beschränkungen (ob nun angeordnet oder selbstverordnet) leben müssen. Kommt jetzt also „die zweite Welle der Onlineberatung“?! Ich wünschte, ich könnte jetzt schreiben: Nein! Und zwar nicht, weil Corona einfach verschwindet, sondern weil wir Onlineberatung nicht als eine zwangsläufige und temporär begrenzte Reaktion auf pandemiebedingte Einschränkungen einsetzen. Sondern weil sie sich nun endlich etabliert und als Regelangebot (inkl. Finanzierungsstruktur!) in die Beratungs- (und Therapie-) Landschaft verankert wird.
Dazu bräuchte es aber neben dem politischen Willen über die Finanzierungsstrukturen von Beratungsangeboten neu nachzudenken und diese zukunftsfähig zu regeln auch die Bereitschaft sich von einem beratungstheoretischen Verständnis zu lösen, dass nach wie vor Mündlichkeit und Präsenz in den Mittelpunkt rückt. Oder wie Joachim Wenzel 2013 schon vorschlug,
„…dass Berater nicht länger das Gespräch als ihr zentrales Medium ansehen, sondern ihr Beratungsverständnis generell auf Kommunikation hin erweitern, wie auch immer diese konkret realisiert wird. Wenn die Kommunikation im Mittelpunkt des professionellen Beratungshandelns stehen würde, wäre es möglich, die Beratung insgesamt theoretisch neu zu fassen, und Fragen der Medienbildung würden damit in die Beratungsfachlichkeit mit hineingenommen werden.“ (S. 228)
Wenn es uns gelingt, die nun bevorstehenden Monate zu nutzen, um weitern an Konzepten zu feilen, Berater*innen zu qualifizieren, Klient*innen mit einzubeziehen und die Beschränkungen als Spielraum für neue Möglichkeiten zu interpretieren, sind wir besser gerüstet für das nächste Jahr und die Zeit danach. Ob mit oder ohne Virus.