Seit gestern steht nun fest, in Deutschland wird sich in den nächsten Wochen das öffentliche Leben auf das Nötigste reduzieren – Ausgang offen. Dies hat massive Auswirkungen auch auf Beratungsstellen und therapeutische Praxen.
Menschen, die Rat, Hilfe, Unterstützung und (therapeutische) Begleitung brauchen werden diese in den nächsten Wochen weniger Möglichkeiten haben, diese Angebote in Anspruch zu nehmen. Sei es, weil sie unter häuslicher Quarantäne stehen oder Angst haben, sich ins öffentliche Leben zu begeben oder aber weil zumindest denkbar ist, dass auch Beratungsstellen in den nächsten Wochen ihren Präsenzbetrieb zeitweilig einstellen oder reduzieren müssen (Eltern, die daheim bleiben müssen, um Kinder zu betreuen usw.).
Und so entwickeln sich derzeit auch viele Überlegungen, wie in der aktuellen Situation reagiert werden kann. Das ist gut und es ist naheliegend, dass nun auch Einrichtungen/Fachkräfte, die Onlineberatung bislang für sich nicht in Betracht gezogen haben, sich nun mit der Frage beschäftigen, wie sie ab kommender Woche für ihre Klientel auch über digitale Wege erreichbar sind.
Doch hier müssen wir jetzt aufpassen: Bitte kein digitaler Aktionismus!! Wenn ab Montag „alle einfach mal online gehen“ setzen wir damit zwei fatale Signale:
- Onlineberatung kann man einfach so per (unverschlüsselter) Mail, Chat, Messenger oder Video machen – das ist nicht der Fall! Auch (und gerade) in Zeiten der Krise benötigen wir verlässliche und sichere Kommunikationskanäle. Denn die Regeln des Datenschutzes (DSGVO) und die gesetzlichen Regelungen für ganz bestimmte Berufsgruppen (und dazu gehören in der Regel alle Berater*innen in den einschlägigen Beratungsstellen, Stichwort §203 StGB) ändern sich nicht aufgrund einer weltweiten Pandemie.
- Jede*r der*die Beratung kann, kann auch einfach Onlineberatung – auch das ist nicht richtig! Onlineberatung benötigt besondere Kompetenzen, die zunächst erlernt werden müssen. Auch face-to-face Beratung wurde vorher gelernt – wir setzen jetzt ja auch nicht Maschinenbauingenieur*innen oder Bäckermeister*innen in die psychosoziale Krisenberatung, nur weil diese vielleicht gut reden können.
Wenn sich diese beiden Vorstellungen in den Köpfen derer, die Entscheidungen treffen müssen, verfestigen, hat dies dramatische Auswirkungen auf die Qualität und Sicherheit von Beratung.
Wir brauchen also – wie in allen anderen Felder die aktuell von der Pandemie und der daraus resultierenden Krise betroffen sind – besonnene und durchdachte Lösungen. Datenschutzhinweise können nicht aufgeweicht werden, Beratungskompetenz darf nicht reduziert werden.
Das was wir jetzt gerade in der Sozialwirtschaft erleben ist ein weiterer Hinweis dafür, was langfristig wird passieren müssen: Plattformökonomie.
Doch was gibt es jetzt für kurzfristige Lösungen: Meine Empfehlung wäre, dass die, die über Onlineberatungskompetenzen verfügen, diese nun verstärkt anbieten und einsetzen. Gleichzeitig halte ich es für vertretbar, wenn nicht für Onlineberatung qualifizierte Berater*innen per datensicherer/verschlüsselter Videoberatung ein Angebot zur Verfügung stellen. Es gibt hierfür technisch sichere Lösungen – es kommt darauf an, dass die Kommunikation verschlüsselt stattfindet, so wenig Daten wir möglich gespeichert werden und der Serverstandort möglichst in Deutschland ist. Weitere Anregungen und Empfehlungen für sichere Kommunikationswege gibt es hier (klick)
Ärzte, die Videosprechstunden anbieten können hier Hinweise für gute Softwarelösungen geben. Auch Videoberatung ist nicht Face-to-Face Beratung. Ich halte dies aber insofern für vertretbar, da Kommunikation in Form eines mündlichen Gesprächs stattfindet und dafür sind Beratungsfachkräfte gut ausgebildet. Weitere (methodische) Hinweise zur Videoberatung gibt es hier (klick)
Und ganz wichtig: Wir dürfen jetzt nicht die vergessen, für die ein Onlinekanal – aus welchen Gründen auch immer – nicht erreichbar oder nutzbar ist. „Einfach“ auf Onlineberatung umzusteigen bedeutet auch, dass wir viele Menschen allein lassen, für die nur eine face-to-face Beratung in Frage kommt. Onlinekommunikation, ob textbasiert oder per Video, hat Begrenzungen. Wir dürfen nicht vergessen, dass gerade jetzt für manche Menschen der Rückzug aus dem öffentlichen Raum auch höchst problematische Folgen haben kann, die nicht (ausschließlich) online „aufgefangen“ werden können.
Es braucht also mehr als eine Lösung. Eine gemeinsame Plattform der großen Träger, über die Beratungsangebote unterschiedlichster Art bereitgestellt und koordiniert werden…das wär’s, finde ich.