Kürzlich wurde der spannende und sehr lesenswerte Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Face-to-Face und mehr – neue Modelle für Mediennutzung in der Beratung“ der Fachhochschule Nordwestschweiz veröffentlicht (Projektleitung: Prof.’in Martina Hörmann).
Hinter dem Titel der Studie verbirgt sich letztlich nichts anderes als „Blended Counseling“ – einer systematischen Verknüpfung von Präsenz- und Distanzberatung, die durch unterschiedliche Kommunikationsmedien realisiert wird.
Ich beschäftigte mich seit 2011 mit dem Thema „Blended Counseling“ und nehme wahr, dass sich in den letzten Jahren immer mehr Beratungsstellen mit der Frage beschäftigen, wie sie auf die gesellschaftlichen Entwicklungen im Zuge der digitalen Transformation und deren Auswirkung auf die Beratung reagieren können. Während in den ersten Jahren der stärkeren Verbreitung und Nutzung des Internet die Onlineberatung als Antwort auf veränderte Bedürfnisse von Ratsuchenden verstanden wurde, findet inzwischen ein Umdenken statt. Welchen Platz hat die Onlineberatung im Gesamtberatungsgefüge? Oder etwas weniger sperrig formuliert: Wie wollen wir künftig sicherstellen, dass wir Ratsuchende über die Kommunikationskanäle/medien erreichen, die sie (auch im Alltag) nutzen?
Daher 5 Thesen, warum kein Weg an „Blended Counseling“ vorbei führt:
1. Ratsuchende werden künftig nicht mehr über die „alten“ Wege erreicht!
Der Blick in die Gelben Seiten ist von Ratsuchenden schon jetzt und in Zukunft wohl kaum noch zu erwarten. Wer nach Informationen sucht, nutzt hierfür in den allermeisten Fällen das Internet. Über die Suchmaschine wird nach einer Antwort auf eine Frage gesucht. Wenn Beratungsstellen es nicht schaffen, sich hier gut zu platzieren, ist künftig nicht sichergestellt, dass Ratsuchende an seriöse und fachlich fundierte Hilfsangebote kommen. Es besteht sogar vielmehr die Gefahr, dass sie (unwissend) Angebote nutzen, die sie mit falschen oder unzureichenden bzw. nicht auf ihre individuelle Situation zugeschnittene Informationen versorgen. Und ich meine hiermit nicht irgendwelche automatisierten Systeme/Bots, die die Beratung übernehmen, sondern Angebote, die kommerziell ausgerichtet die Hilfsbedürftigkeit von Ratsuchenden gezielt ausnutzen.
2. Berater*innen, die nicht in der Lage sind über das face-to-face Gespräch hinaus Beratung anzubieten, werden auf lange Sicht gar keine Beratung mehr anbieten können!
Wieso ist es eigentlich möglich, dass sich Berater*innen aus den unterschiedlichsten Gründen einer Beratung über das Internet widersetzen!? Es würde vermutlich auch kein*e Berater*in auf die Idee kommen, die Annahme eines Telefongesprächs zu verweigern und als Begründung seine kritische Haltung gegenüber „diesem Telefon“ anzuführen? Berater*innen werden es künftig noch mehr mit einer Generation von Ratsuchenden zu tun bekommen, die medial vollkommen anders sozialisiert wurde, als die Generationen davor. Ablehnung und Skepsis erfolgen nicht willkürlich: Sie entstehen, da Fachkräfte in der Regel keinerlei Kompetenzen in medialer Beratung erwerben, sofern sie sich nicht gezielt darum bemühen. Insofern bedarf es einer grundlegenden Überarbeitung von Hochschul- und Weiterbildungscurricula in den einschlägigen Disziplinen.
3. Blended Counseling ermöglicht Ratsuchenden Zugänge zur Beratung, die sonst keine Beratung in Anspruch nehmen würden!
Es ist keine neue Erkenntnis, dass das Aufsuchen einer Beratungsstelle für viele Ratsuchende eine unüberwindbare Hürde darstellt. Ein „Onlinezugang“ hingegen, hat für bestimmte Zielgruppen eine türöffnende Funktion. Über die Onlineberatung können Ratsuchende also auch in eine face-to-face-Beratung begleitet werden, die diesen Weg für sich sonst ausschließen würden.
Dies bringt uns aber wieder zu den Thesen eins und zwei: Ohne die Bereitstellung dieses Zugangswegs, keine Ratsuchenden. Ohne Kompetenz bei den Beratenden, kein Übergang in die Beratung vor Ort!
4. Veränderte Lebensbedingungen erfordern flexiblere Beratungsmöglichkeiten!
Beratung über mehr als einen Weg (face-to-face oder online) anzubieten, schafft neue Spielräume. Wir leben in einer Welt die geprägt ist durch Globalisierung und Flexibilisierung. Für viele Menschen, die einen Beratungsbedarf hätten, ist es nicht möglich, eine Beratungsstelle vor Ort aufzusuchen – entweder, weil es die geeignete Stelle gar nicht gibt oder aber, weil die Öffnungszeiten nicht kompatibel mit Arbeits- oder Familienversorgungszeiten (Stichwort Pflegende Angehörige) sind. Die Medien des Distance-Counseling ermöglichen hier mehr Flexibilität. So können kurze Informationen per Messenger ausgetauscht werden, eigene Beobachtungen in einer Mail auch über unterschiedliche Zeitzonen hinaus reflektiert werden und per Chat Personen von unterschiedlichen Standorten zu einem Thema beraten werden.
5. Berater*innen sollten Kommunikation und nicht das Gespräch in den Mittelpunkt ihres Beratungshandelns stellen!
Diese These stammt nicht von mir, sondern von Dr. Joachim Wenzel, der in seinem Buch „Wandel der Beratung durch Neue Medien“ (2013) zu dem Ergebnis kommt, dass Beratende künftig umdenken müssen. Bislang ist Beratung nach wie vor stark am persönlichen Gespräch orientiert. Rückt man aber die Kommunikation in den Fokus ergeben sich neue Spielräume: Kommunikation kann über unterschiedliche Wege und mit Hilfe verschiedener Medien realisiert werden. Es gilt für den Beratungsprozess die Vorteile der jeweiligen Medien zu nutzen und diese gezielt einzusetzen. So kann für Beratende und Ratsuchende ein Mehrwert entstehen, der bei einer Beschränkung nur auf das Gespräch per se ausgeschlossen wird.
Es lohnt sich in diesem Zusammenhang auch Joachims Artikel zum Thema „Mythos Unmittelbarkeit im Face-to-Face-Kontakt – Weiterentwicklung von Beratung und Therapie durch gezielte methodische Nutzung der Medien“ im e-beratungsjournal zu lesen!